Montag, 16. November 2015

Kapitel 125 - in dem ich von Feriengefühlen übermannt werde

Wenn das Wetter schon so verrückt spielt wie in diesen Tagen (18°C - ernsthaft?), dann kann man ja gar nicht anders, als sich in den nächsten Urlaub zu wünschen. Weg von allem, was einen hier oft daran erinnert, was falsch läuft oder bald stressig zu werden droht.

Statt mich also um die noch anstehenden Strick-Weihnachtsgeschenke zu kümmern (ein Paar Socken wurden gewünscht, ein Schal oder vielleicht auch zwei stehen auf der Liste), denke ich lieber an den letzten Sommer und träume mich damit in den nächsten.

Wie berichtet waren wir am Meer, in Worthing, und das Schönste dort war - neben dem Meer natürlich - ein wunderbarer kleiner Wollladen. Die Besitzerin hat mir freundlicherweise erlaubt, ein paar Fotos zu machen, damit ich euch hier mit auf die Reise nehmen kann.

Der Laden heißt:



Per Klick: The Wool Bar. An der Seite des Ladens das Menü - extra vergrößert:



Gerade den letzten Punkt kann man nur unterschreiben. Ich bin ja nun nicht wirklich von den Besitzern in Garnläden verwöhnt - Münchener Grant usw. (zu einer Erläuterung siehe z.B. hier) - aber ich muss sagen, genau so stelle ich mir den Besitzer eines Wolleladens vor. Jemand, der tatsächlich froh ist, wenn ich vorbeikomme. Mehr zu Caroline kann man hier lesen.

[Und als positive Ausnahme muss ich an dieser Stelle natürlich aber  unbedingt die Münchener Mercerie erwähnen, in der nur wirklich sehr nette Menschen arbeiten.]

An dem Mittwoch, an dem ich die Woolbar besuchte, räumte Caroline gerade die Überreste des Strickabends vom Tag zuvor auf - vor einer sehr beeindruckend gestalteten Wand voller Patterns und Magazinseiten. Sieht doch cool aus:


Im Laden selbst findet man die obligatorische Wollwand:


Den Wolltisch:


Die Modelle:





Im Laden gibt es auch Möbel zu kaufen, von den beiden Besitzerinnen selbst renoviert und frisch angestrichen:




Dazu kommen all die hübschen Kleinigkeiten wie eine Wimpelkette:


Oder stapelweise hübsche Webbänder:


Das hat schon eine gute halbe Stunde gedauert, sich da einfach nur durchzuschmökern. Ich hab auch ein bisschen geplaudert mit Caroline, die mir erzählt hat, dass es den Laden jetzt seit sechs Jahren gibt. Da hüpft mir immer das Herz - ein Woll-Laden, der sich hält in unseren Online-Zeiten, auch wenn wir zum Glück gerade auf einer Strickwelle schwimmen.

In Worthing leben vor allem Urlauber und Rentner, die auf ihre alten Tage - und wer kann's ihnen verdenken - ans Meer gezogen sind. Viele dieser Stricker sind also noch in den Acryljahren groß geworden und suchen häufig noch heute eine solche Qualität.

Caroline versucht hier eine ganz tolle Balance zu finden und Garne anzubieten, die nicht unbedingt die Welt kosten, aber eine tolle Qualität haben, wie z.B. Stylecraft Special DK . Hierzulande muss man dieses Garn ja online kaufen, ich habe noch keinen Laden entdeckt, der das vorrätig hätte. Dort aber stand ich staunend vor einem großen Regal mit fast allen Farben. Großartig!

Zwei davon mussten gleich mit. Blautöne kann man immer brauchen und gerade sie sind auf dem Bildschirm oft gar nicht so gut zu erkennen. Hier also Bluebell (li) und Denim:


Mein zweiter Glücksgriff war ein Schnäppchen, weil die Winterfarben auslaufen. Ein Garn mit einer Qualität wie Rowan Kidsilk Haze (70% Super Kid Mohair und 30% Seide), nur mit einem anderen Preisschild. Es heißt Bessie May Grace.


Daraus soll irgendwann mal ein Häkelschal werden, aber der ist noch fern am Horizont. Wenn ich besser häkeln kann, wenn ich wieder ein bisschen Luft bei den Wips habe, etc. Wie immer halt. Aber die Knäuel warten auf mich!

Schließlich hat sich der Mann eine Mütze gewünscht, und da liegt natürlich Drops Alaska nahe:


Auch dies ein Garn, das ich gerne mal live gesehen habe. In vielen Farben und zum Knäuel drücken. Schöner kann es im Urlaub doch gar nicht sein.

Das Beste aber natürlich am Schluss, denn man ist ja ständig auf der Suche nach neuen, tollen Ideen, von denen man sich inspirieren lassen kann.

Seht mal, wie clever hier alte CDs umhäkelt worden sind. Das kann ich mir auch draußen auf der Terrasse vorstellen, oder vor einem Erkerfenster, oder im Bad, oder...







Hübsch, oder? Ich will wieder hin!














Mittwoch, 4. November 2015

Kapitel 124 - Liebe Frau Ott!

Zunächst mal möchte ich mich als Fan Ihrer Kolumne outen. Mit großem Vergnügen lese ich jeden Monat Ihre endgültige Ablage und habe mich oft schon darüber gefreut, wie genau Sie die Nägel auf den Kopf treffen. Und wie gelungen Sie darüber schreiben können. Der Text über die Taufe von kleinen Kindern - spot on! Und das sage ich hier als kleiner Katholik aus dem Süden.

Es ist gar nicht so einfach interessante Probleme zu erkennen und dann immer witzig und zielgerichtet darüber zu schreiben. Gerade deshalb freue ich mich auf jeden Ihrer Texte. Aber sagen Sie mal, was war denn diese Woche los?

Ich verstehe ja, wenn Sie etwas genervt davon sind, dass auf der Buchmesse statt "die bewährten Kulturtechniken Lesen und Schreiben" zu feiern, ein so genannter Handmade-Tag ausgerufen wurde. Aber: glauben Sie wirklich, dass daran die "Mädels" schuld waren? Nee, nee.
Da sind die Buchverlage vor! Und die haben eben erkannt, dass im Moment ne Menge Kohle zu holen ist, wenn man Bücher über das Selbermachen von was auch immer herausbringt. Lesen Sie mal nach in speziellen Handarbeitsblogs, z.B. bei stefanella und stellen Sie fest, dass hier die Verlage ganz klare Vorgaben machen, was sie haben wollen. Und wenn dann die 'Mädels' liefern, dann ist das eigentlich genau dasselbe, als ob ein Spitzenkoch ein Buch über Smoothies schreibt, nur weil sich jeder gerade diese klebrige Brühe in der Küche zusammenmixt. Weil es eben 'in' ist. Wenn man wieder drauf gekommen ist, dass Zähne auch gesünder bleiben, wenn man seine Selleriestange zermalmen darf, dann gibt es eben wieder was Neues und es werden neue Bücher (und Rezepte) erfunden.
Ich wiederhole mich also gerne: auch hier werden keine Kulturtechniken gefeiert, sondern neue Trends beim Essen in einen Haufen klingender Münzen verwandelt.

Aber klar, eine Geschichte der Philosophie in drei Bänden ist was anderes als eine Jungschauspielerin, die am Set strickt. Aber kann man das wirklich vergleichen? Der eine ist promovierter Germanist und die andere ein 18-jähriges Mädel, von dem ich nicht einmal weiß, ob es einen Schulabschluss hat. Wollen Sie das wirklich vergleichen? Kann man das überhaupt vergleichen? Da fallen mir doch auf Anhieb ne ganze Menge anderer Damen mit anderem Kaliber ein, die man Herrn Precht gegenüberstellen kann.

Die Frage nach den Prozent der Entscheidern ist natürlich eine problematische. Ja, "85 Prozent der Filme [werden] von Männern produziert". Männer sind sicherlich auch häufiger Regisseure, sie sind vor allem hierzulande immer noch sehr viel häufiger in Firmenvorständen und Schuldirektoraten als dies in anderen Ländern der Fall ist, aber liegt das immer nur an den Mädels?

Vielleicht ist es einfach auch so, dass die Mädels das gar nicht wollen. Lesen Sie mal, was Martina Behm darüber schreibt, warum sie ihren Job als Journalistin aufgegeben hat. Wenn sie damit auch Geld verdienen kann, dann soll sie doch. Dann darf sie doch.

Ich kam ernstlich ins Grübeln bei der Lektüre. Wenn die Welt nur aus Leuten wie mir bestehen würde, dann gäbe es weder Hochhäuser noch Brücken, das ist mir klar. Könnte ich nicht. Bewundere ich total. Aber warum soll ich nicht trotzdem das machen dürfen, was mir Spaß macht? Ich bin mit meinem Studium nicht so weit gekommen in der Liga der Weltverbesserer, aber ich versuche auch, was ich kann, an meinem kleinen Arbeitsplatz. Und in meiner Freizeit, da stricke ich nun mal. Oder häkle.

Ihr eigener "lila Norwegerpullover mit grünen Hirschen" ist sicherlich auch in einer Zeit entstanden, die man vielleicht für etwas anderes hätte verwenden können. Muss man aber nicht immer, oder doch?

Was genau ist nochmal verkehrt am Stricken mit Flüchtlingen für Flüchtlinge? Der Winter kommt bald und dann hat sich's mit den Zeltstädten. Dann ist man doch froh, wenn man warme Socken verteilen kann, Brücken hin oder her. Ich denke eher, hier versucht jemand, die Öde und Langeweile der Riesenhallen zu bekämpfen, die ja auch zu Stress und Aggression führt. Da könnten sich die männlichen Netzwerker mal ne Scheibe von abschneiden.

Und schließlich die Laternenpfähle, die Straßenbäume und die Blümchen für Scheinwerfer. Yarnbombing also. Kann ich verstehen. Da geht es mir häufig so, wie es die Engländer so treffend ausdrücken können: ich hab da zwei unterschiedliche Meinungen dazu. Kann man machen, kann man sein lassen. Manches verstehe ich und manches verstehe ich auch wieder nicht. Aber so geht's mir auch, wenn ich mir Graffiti ansehe (was übrigens hauptsächlich von Männern gemacht wird).

Und da hilft mir halt, dass ich aus dem Süden dieser Republik komme, denn hier gibt's die eindeutige Antwort drauf: Ja mei!

Mehr ist es dann schon wieder nicht.